Auf der Suche nach einem nachhaltigeren Wirtschaftssystem

Unsere Gesellschaft und Demokratie befinden sich in einer fortlaufend vertiefenden Vertrauenskrise. Während in den 80er und 90er Jahren die Bevölkerung noch gegen die Aktivitäten des Staatsapparates demonstriert hat, so hat sich seither die Macht hauptsächlich auf die Wirtschaft verlagert. Das Finanzsystem spielt dabei eine herausragende Rolle und es erklärt möglicherweise, warum in den letzten zehn Jahren Phänomene Einzug gehalten haben, die in dieser Form zuletzt in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts zu beobachten waren: starke Polarisierung der Gesellschaft und zunehmender Nationalismus.

Gerade im Zuge der vergangenen Finanzkrise hat sich gezeigt, dass unser Finanzsystem eine sehr hohe Komplexität erreicht hat, deren Dynamiken und Implikationen selbst von Insidern kaum noch verstanden werden.¹

Die zur Verhinderung einer Kernschmelze getätigten Bankenrettungen, Rettungsschirme usw. haben zwar einen unmittelbaren System-Kollaps verhindert, aber zu gesellschaftlichen Verwerfungen geführt, welche sich heute vor allem in einem tiefen Misstrauen jeder Art von Establishment gegenüber ausdrücken.

Zukunftsangst

Zunehmende Automatisierung und der sich ständig beschleunigende Wandel der Arbeitswelt, dem politische Gestaltung oft nicht mehr folgen kann, bedrohen die soziale Grundlage von Einkommen durch Erwerbsarbeit. Verstärkt wird dies durch Kollateralschäden einer Geldpolitik, die zur Krisenbewältigung unorthodoxe Wege eingeschlagen hat², durch den damit einhergehenden Cantillon-Effekt³ und vermutlich auch durch die Tendenz zur Vermögenskonzentration gerade im Kontext von geringem Wirtschaftswachstum.⁴

Aktuell dominiert vielerorts die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens den gesellschaftlichen Diskurs zu diesem Problemfeld. Dabei wird sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern häufig „Fairness“ als Argument für bzw. gegen dieses Konzept bemüht.

Fairness & Humanismus

Fairness bildet eine wesentliche Grundlage für friedliche und kooperative Zusammenarbeit.⁵

Die skizzierte Vertrauenskrise wird wesentlich von einer Wahrnehmung mangelnder Fairness gespeist. Eine immer noch häufig bemühte, aber zunehmend abgelehnte Erklärung für wirtschaftliche Dynamiken entstammt dem Modell des Homo Oeconomicus, welches menschliches Handeln im Wesentlichen auf spieltheoretische Betrachtungen reduziert.

Da Ökonomie eine Sozialwissenschaft ist, ist der Betrachtungsgegenstand (Mensch) nicht neutral gegenüber dem vorherrschenden Modell. Der Homo Oeconomicus ist damit ein Stück weit zur selbst erfüllenden Prophezeiung geworden, folgerichtig finden wir uns als Gesellschaft immer öfter in dem Gefangenendilemma ähnlichen Situationen wieder.

Die Konzeption von Geld sollte dazu beitragen, humanistische Ideale in den Vordergrund zu stellen, ohne Anreizmechanismen außer Acht zu lassen.⁶

Ein Plädoyer für Nachhaltigkeit

Unser aktuelles Finanz- und Geldsystem ist auf maximale Leistungsfähigkeit, gemessen am Wirtschaftswachstum, getrimmt. Aber ist das noch die richtige Zielsetzung?

In den entwickelten Gegenden der Welt ist geringes Wachstum nur insofern ein Problem, als das Wirtschaftssystem, insbesondere auch verschuldete Staaten, schlecht damit klarkommen. Das sollte kein Plädoyer gegen Wachstum sein (Die Natur ist verschwenderisch — warum sollte der Mensch es nicht sein?) sondern eines für mehr Nachhaltigkeit.

Niedriges Wachstum wird auch deshalb zum Problem, weil es nach Piketty die Konzentration von Vermögen beschleunigt — damit die Grundlagen liberaler Demokratie untergräbt — und weil es erhöhte Arbeitslosigkeit begünstigt.
Arbeitslosigkeit ist wiederum nur deshalb ein Problem, weil wir uns als Gesellschaft auf das Modell „Einkommen durch Erwerbsarbeit“ geeinigt haben. Scheinbar vergessen sind alte Utopien von Maschinen, die uns die Arbeit abnehmen. Wo dieses Szenario nun aufgrund von Digitalisierung und Automatisierung Realität werden könnte, fürchten wir uns davor. Auch die Politik will uns davor schützen. Nach wie vor ringen politische Parteien darum, wer das bessere Rezept für „Vollbeschäftigung“ hat. In starken Industrienationen wie zum Beispiel Deutschland gilt das ja auch noch. Aber ist Maximierung des Sozialprodukts auch noch für das 21. Jahrhundert eine nachhaltige Metrik?

Im Kontext von Ressourcenknappheit, Umweltproblemen⁸ und mancherorts auch sogenannter Wohlstandsverwahrlosung mutet es absurd an, wenn Politiker und Ökonomen hauptsächlich darüber diskutieren, wie sie am besten die Wirtschaft und den Konsum ankurbeln können.

Inklusive Alternativen und dezentrale Technologie

Warum nicht stattdessen das System so umbauen, dass Konsumverzicht, oder besser gesagt Ressourcen-Effizienz, belohnt wird?

Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, den Lebensstandard auf der nördlichen Hemisphäre auch im 21. Jahrhundert — trotz Globalisierung — auf einem hohen Niveau auf breiter gesellschaftlicher Basis zu halten oder gar auszubauen. Aber nicht auf Kosten anderer Länder, unserer Umwelt oder auf dem Rücken unprivilegierter Bevölkerungsschichten.

Die Definition von Wohlstand gehört aktualisiert. Es ist Zeit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in entwickelten Gesellschaften echte Knappheit soweit verschwunden ist, dass sie mittlerweile in großem Stil künstlich erzeugt wird: durch das Induzieren von Bedürfnissen über die mittlerweile omnipräsente und mit immer ausgeklügelteren psychologischen Mechanismen agierende Werbung.

Wohlstand hat heute viel mehr mit Lebensqualität zu tun als mit der Möglichkeit, noch mehr zu konsumieren. Selbst an den sogenannten unteren Rändern entwickelter Gesellschaften ist oft nicht echte materielle Knappheit das Problem, sondern der Kampf um die eigenen Position in der sozialen Hierarchie — um das eigene Selbstwertgefühl.

Wäre es nicht möglich und wünschenswert, wenn wir als Effekt einer neuen und besseren Metrik für Wohlstand weniger Stress und Burn-Outs, langlebigere Produkte, mehr Freizeit und eine sauberere Umwelt erreichen könnten…?

Es darf bezweifelt werden, dass die grundlegenden Ursachen der letzten Finanzkrise wesentlich beseitigt wurden. (Nationale) Politik scheint zunehmend mit Krisenbewältigung beschäftigt und vermag es kaum noch, glaubwürdig und überzeugend positive Zukunftsszenarien zu entwickeln und umzusetzen.

Derweil läuft das Finanzsystem in den Augen vieler auch ein knappes Jahrzehnt nach Beginn der Krise in einer Art Not-Modus. Auch die Zukunft des Euro scheint nach wie vor ungewiss, da mittlerweile die zugrundeliegende EU selbst sich in einer anhaltenden Krise befindet. Die Frage ist daher möglicherweise nicht ob, sondern wann es wieder zu einem Infarkt des Finanzsystems kommt. Es scheint deshalb nicht unvernünftig, parallel Alternativen zu entwickeln und zumindest mal in einem überschaubaren Rahmen auszuprobieren.

Genau das tun wir im lab10 collective, und zwar mit dem Mut, Neues zu versuchen, dem Bemühen, eingefahrene Ideologien möglichst zu vermeiden, unter Nutzung aktueller Technologien besonders mit Bezug auf Dezentralisierung und Kryptographie.

Wir sehen uns dankbar als Teil einer globalen Community, die vorwiegend freies Wissen und freie Software nutzt und schafft — unserer Vision folgend: We want to support the transition to a free, fair and educated society.


[1] Besonders eindrucksvoll kam dies bei einer Kongress-Anhörung des damaligen Vorsitzenden der US-amerikanischen Zentralbank, Alan Greenspan, im Oktober 2008 zum Ausdruck, wo er öffentlich einen Fehler in seinem Weltbild eingestand: Ausschnitt

[2] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/03/09/ezb-geldschwemme-beschleunigt-umverteilung-von-arm-zu-reich/

[3] siehe auch https://mises.org/library/biography-richard-cantillon-1680-1734

[4] Siehe dazu Das Kapital im 21. Jahrhundert von Thomas Piketty, 2013.

[5] Wissenschaftliche Experimente aus der Verhaltenspsychologie zeigen, dass ein Sinn für Fairness evolutionäre Wurzeln hat und selbst bei Affen zu beobachten ist. Vgl. Monkeys reject unequal pay, Sarah F. Brosnan & Frans B. M. de Waal, 2003

[6] enen, die Meritokratie für ein universelles Rezept zur Herstellung von fairen Verhältnissen halten, sei übrigens ein Blick auf die Begriffsherkunft von Meritokratie ans Herz gelegt.

[7] http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2015-03/vollbeschaeftigung-arbeitslosenquote-arbeitsmarkt

[8] Siehe dazu die Belastungsgrenzen des Planeten

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